Liebe Mama!

Am Samstag saß ich im Theater des Westens und schaute dir beim Singen zu. Zwischen all den mir fremden Gesichtern war da deins, mir so vertraut.

Während also der ganze Saal mit Quasimodo und Esmeralda mitfühlte, sah ich dich und durch mich zogen all die Momente, in denen ich dir beim Singen zuschaute.

Von Beginn an war da der Moment, wenn du mich ins Bett brachtest und noch sitzen bliebst und mir vorsangst. Besonders die traurigen Lieder hatten es mir angetan, wie die Zwei Königskinder. Aber am meisten schaurigtraurig machte mich dieses Lied: Das Lied der Lieder von Minis Theodorakis. Du sangst es natürlich auf deutsch:

die ich liebe ist schön, unsagbar schön,
ich seh sie vor mir in ihrem sommerkleid
mit einem kamm im schwarzen haar.

man hat sie fortgebracht, und keiner sieht
wie schön sie ist,
man hat sie fortgebracht, und keiner weiß
wohin, wohin.

ihr mädchen von auschwitz,
ihr mädchen von dachau,
ich frage, wer sie getroffen hat,
ich frage, wer sie gesprochen hat,
ich frage euch, wer sie sah, wer sie sah.

wir trafen sie auf einer langen reise,
ihr kleidchen hatte sie verloren,
lange zerbrochen war ihr kamm.

die ich liebe ist schön, unsagbar schön,
wenn sie die mutter sanft gestreichelt hat,
wenn sie der bruder zärtlich küßt.

man hat sie fortgebracht, und keiner sieht
wie schön sie ist,
man hat sie fortgebracht, und keiner weiß
wohin, wohin.

ihr mädchen von mauthausen
und ihr aus bergen-belsen,
ich frage, wer sie getroffen hat,
ich frage, wer sie gesprochen hat,
ich frage euch, wer sie sah, wer sie sah.

wir trafen sie auf kahlem platz im eiswind,
ihr arm trug eine schwarze nummer,
ihr herz schlug noch unterm gelben stern.

die ich liebe ist schön, unsagbar schön,
ich seh sie vor mir in ihrem sommerkleid
mit einem kamm im schwarzen haar.

Ausschwitz, Dachau, Bergen-Belsen und Mauthausen sagten mir natürlich noch gar nichts mit 6 Jahren, aber den Schmerz verstand ich und ich war dir fast dankbar, dass du mir zumutest, das Wahre und Echte zu spüren und nicht nur das, was für Kinder als geeignet angesehen wurde. Meine ganze Liebe floss zu dir hin!

Und dann sah ich dich von schräg hinten, da ich ja immer hinter meinem Vater im Auto saß und hörte dich singen. Oft auch zweistimmig mit meiner Schwester. Alle Volkslieder gefolgt von den Kampfliedern und Ostrock wurden da gesungen. Mein liebstes war dies: Tausend Sterne sind ein Dom aber auch: Du hast den Farbfilm vergessen. Und irgendwo tauchte auch dieses Lied immer mal wieder auf:

Später schaute ich dir dann beim Lehrerchor zu. Manchmal schämte ich mich etwas dafür (ich war schon in der Pubertät!), dass du den Mund so doll aufmachtest und so energisch sangst. Manchmal war ich aber auch stolz, dass dir das völlig egal ist, wie du aussiehst und dass du einfach das Lied so singen willst, wie es dafür am Besten ist!

Ich folgte dir auf Chorreisen nach Traben Trabach und nach Tschechien. Immer wieder saß ich da, hörte euch zu, sah und hörte dir zu!

Dann beobachtete ich dich, wie du deinen Hortkindern vorsangst und hin und wieder mischte sich da die Eifersucht und Wehmut mit hinein, denn zu dem Zeitpunkt sangst du mir schon lang nicht vor. Wollte ich ja auch gar nicht … oder doch? Dafür begann ich dann die Lieder mit Gitarren Begleitung zu singen:

Ganz davon abgesehen, dass du eh ununterbrochen und zu allem singst 😉 kein Gegen- oder Umstand, der nicht in der Lage wäre, dir ein passendes Lied zu entlocken.

Richtig cool fand ich dich, als du im Background zu einer richtigen! Band gesungen hast. Dass ich noch nie von ihr gehört hatte, war da nebensächlich. Ich war 14 und du auf einer Bühne mit ner Band, gerne begleitete ich dich zu Proben 😉 !!!

 

Auch als Engel sah ich dich auf einer Bühne singen. Da das aber auch alle meine Schulfreunde sahen, war es eher peinlich 😉

Und dann viele Jahre später saß ich in einer Kirche und hörte dir bei gregorianischen Gesängen zu und war so begeistert, dass ich selbst mitsang! Also traten wir zusammen in Kirchen in Mitte auf!

Inzwischen komme ich mit deinen verschiedenen Chören nicht mehr so ganz mit ;), erleb nur die Freude, die aus dir strahlt, wenn du vom Singen erzählst.

Da saß ich also vor ein paar Tagen stolz auf sehr! guten Plätzen im Theater des Westen und sah und hörte dich. Na klar! Ein Musical hatte ja noch gefehlt! Der Glöckner von Notre Dame. Deine größte Sorge war, ob du im richtigen Moment aufstehst und dich hinsetzt 😉 ! Hast du!!!

Bestimmt habe ich so einige Momente vergessen 😉 ! Du wirst das besser erinnern als ich.

Aber nie vergessen werde ich, dass ich dir meine Liebe zur Musik zu verdanken habe und das Wissen, das Musik und Gesang mich durch jede Situation führen können, mich retten können, wenn sonst kein Ausweg in Sicht ist! Die Freude am Singen und die Ungezwungenheit,  das verdanke ich dir!

Dafür danke ich dir!

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Deine Tochter – Das Seelchen 😉 !

 

 

 

(Quelle Beitragsbild!)

 


9 Gedanken zu “Liebe Mama!

  1. Danke für die Ohrwürmer!
    Nun kennt das Töchterlein Nina Hagen-die geht ja beim Singen die Treppe runter.

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  2. Das ist ein wunderbarer Text, aus dem viel Liebe spricht. Singen ist etwas Wunderbares und Verbindendes. Ich stelle auch immer wieder fest, dass gemeinsam singen befreit und gute Laune macht.

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  3. Welch wunderbare Liebeserklärung. Ich war auch in der glücklichen Situation, dass während meiner gesamten Kindheit um mich, für mich und mit mir gesungen wurde, so dass ich auch heute in keiner Situation um ein Lied auf den Lippen verlegen bin. Welch ein Geschenk!
    Herzliche Grüße auch an die Frau Mama!
    Mirjam

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