Imre Kertész: Liquidation

„Nennen wir unseren Mann, den Helden dieser Geschichte, Keserü. Wir denken uns einen Menschen und dazu einen Namen. Oder andersherum: wir denken uns den Namen und dazu einen Menschen. Obschon wir das alles auch lassen können, weil unser Mann, der Held dieser Geschichte, auch in Wirklichkeit Keserü heißt. Schon sein Vater hieß so. Und sogar schon sein Urgroßvater. Keserü war infolgedessen unter dem Namen Keserü ins Geburtenregister eingetragen worden: Das also ist die Wirklichkeit, von welcher – der Wirklichkeit nämlich – Keserü neuerdings nicht mehr allzu viel hielt. Neuerdings – in einem der späten Jahre des vergehenden Jahrtausends, sagen wir just im Frühling 1999, an einem sonnigen Vormittag – war die Wirklichkeit für Keserü zu einem problematischen Begriff, doch was noch schlimmer ist: zu einem problematischen Zustand geworden. Ein Zustand, dem es – nach Keserüs innigstem Empfinden – am allermeisten an Wirklichkeit mangelte. Wenn er irgendwie zum Gebrauch dieses Wortes gezwungen war, setzte Keserü sofort immer „die sogenannte Wirklichkeit“ hinzu. Es war allerdings eine ziemlich armselige Genugtuung, die Keserü auch nicht befriedigte.“


3 Gedanken zu “Imre Kertész: Liquidation

  1. Das ist bewegend. ich wollte schon lange etwas von Kertész lesen, zum einen natürlich, weil er ein viel gefeierter Autor ist zum anderen ein bisschen aus Nationalgefühl heraus. Ich habe mal den „Roman eines Schicksallosen“ angefangen, aber dass war ein bisschen zu viel für meine kleine Seele. Vielleicht versuche ichs nochmal.

    Gefällt 1 Person

    1. Ich entdecke ihn quasi jedes Mal neu! Es ist genau die Art des Schreibens, die mir zusagt und mir Lust zum Lesen macht. Und sobald Budapest in einem Buch erwähnt wird (käme dann nach dem zitierten Abschnitt) ist es so wie so um mich geschehen!

      Gefällt 1 Person

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.