PUNK

Sie sieht ihn auf der Bühne stehen, er ist so weit entfernt 
von ihr  in seinem dreifachen Rausch.
Der Rausch vom Bier, der Rausch, in den ihn seine Musik bringt und
dieses berauschende Grölen des Publikums.
Er singt und liefert ihnen die Show, die sie erwarten.
Nicht viel ist mehr da von der Schüchternheit, die ihn sonst so 
quält, aber sie sieht sie doch in kurzen Augenblicken, in einem 
Lächeln, einem Blick.
Sie trinkt, soviel sie kann, will nicht zurückbleiben hinter seinem 
Suff, will nicht, dass ihr Nüchternsein sie trennt.
Sie spürt, wie aufgeladen die Stimmung im Raum ist, wie die 
Menschen um sie her immer wilder pogen, wie die vier auf der Bühne 
immer heißer werden durch das Ungestüme der Musik, durch die 
Begeisterung der gesichtslosen Masse.

Sie sieht sich um, sieht all die Menschen und fühlt sich so fremd 
unter ihnen.

Und dann hört sie die Mädchen kreischen und die Männer johlen:
Ja, er bietet ihnen auch heute, wofür er bekannt ist.
Das Mikrofon in der einen Hand ganz nah an seinem Mund wie in einem 
endlosen Kuss und in der anderen Hand sein Schwanz, den er hält und 
reibt, so schreit er seinen Punk heraus, seine Texte voll  
Zerrissenheit. 
Soviel Schmerz und Wut und Angst liegt in jedem Wort, in jedem Ton.

Wilder, immer wilder wird der Tanz.

Später, als die meisten gegangen sind und der Rest mit dem letzten 
Bier in der Hand irgendwo im Raum niedergesunken ist, schafft sie 
es, ihn zum Gehen zu bewegen. Sie sehnt sich so sehr danach, mit 
ihm allein zu sein, ihm wieder nah zu sein.
Sie gehen die menschenleeren Strassen entlang. Sie fühlt, 
wie erregt und aufgedreht er noch ist. Mit dem Fuß tritt er gegen
die Seitenspiegel der am Strassenrand parkenden Autos. 
Das macht ihr Angst.

Er erzählt ihr ganz euphorisch von all den Dingen, die er jetzt 
machen wird und die ihm auch endlich alle gelingen werden. Und dass 
er viel mehr wert ist, als seine Familie und seine Freunde von ihm 
denken und dass er es ihnen allen jetzt zeigen wird.
Schweigend hört sie ihm zu und möchte so gern glauben, dass es 
diesmal wahr wird, was er sagt, dass er dieses Mal die Kraft 
findet, der zu sein, der er sein könnte. Dass all dies auch am 
Morgen noch da ist, wenn er aus seinem Rausch erwacht. 
Aber sie findet nicht mehr viel Kraft in sich zum Glauben. 
Mit ihren vierzehn Jahren fühlt sie sich so uralt. 
Es wird so sein wie jedes Mal: Morgen, nach dem Erwachen wird seine 
Euphorie Niedergeschlagenheit sein. Dann wird er jammern über sein 
Schicksal und ohne Hoffnung für irgendwas sein. Er wird sich an sie 
klammern und ihr sagen, dass er sie liebt, weil sie die einzige 
ist, die ihn sieht, und dass sie ihn nicht verlassen darf, 
weil er sonst nicht weiß, wie er weiterleben soll.

Aber jetzt, in der Nacht, so besoffen und berauscht, da ist alles 
möglich.
Sie kommen nur langsam voran. Immer wieder müssen sie den 
Nachhauseweg unterbrechen, weil er pissen muss. Und während er eine 
Ewigkeit am Strassenrand darauf wartet, dass er es losgeht, hält er 
weiter seine Reden ins Dunkel der Nacht hinein.
Sie wird müde vom Warten. Die Kälte lässt sie nüchtern werden und 
sie will nur noch nach Haus ins Bett und schlafen. 
Auch seine Stimmung ändert sich und er wird müde.
Immer wieder bleibt er stehen und will sich auf den Bürgersteig 
hinlegen. Halb trägt, halb zerrt sie ihn den Rest des Weges 
ins Haus hinein, in den Fahrstuhl, in sein Zimmer. 
Dort lässt er sich sofort aufs Bett fallen und schließt die Augen. 
Sie ist so müde und erschöpft, aber sie will ihn auch nicht so da 
liegen lassen. Sie zieht ihm die Springerstiefel und die bepisste 
Hose aus. Sie ist so angeekelt von sich selbst und von ihm. 
Dann zieht auch sie das Nötigste aus und legt sich neben ihn. 
Ihr Kopf schmerzt und sie hört dieses Fiepen im Ohr von der lauten 
Musik.

Da merkt sie, wie er sich neben ihr bewegt und mit einem Blick auf 
die Bettdecke registriert sie, dass er sich einen runterholt. 
Sie will sich gerade zur Seite drehen, als er sich auf sie schiebt. 
Er zieht ihr den Slip runter und dringt ungeschickt in sie ein. 
Sie will das jetzt nicht, doch fühlt sie sich viel zu dumpf und 
leer, als dass sie ihn abhalten könnte. So bleibt sie still liegen, 
den Blick zur Zimmerdecke gerichtet, den Atem angehalten, damit  
sie seinen Biergestank nicht riechen muss. Sie hofft, dass es 
trotz seiner Trunkenheit schnell vorbei geht. 
Und er stößt in sie hinein im immer gleichbleibenden Rhythmus und 
stöhnt über ihr, ohne sie anzuschauen. 
So als wäre sie gar nicht da oder würde nur aus dem Loch bestehen, 
in das er sie fickt.

Und dann plötzlich, als würde er mit einem Mal erwachen, hält er 
inne und schaut sie an. Er zieht sich aus ihr zurück und sein Blick 
ist voller Ekel, als er sie von sich wegschiebt.
Ganz betäubt bleibt sie so liegen.
Tränen steigen in ihr auf.
Später, als er schläft und sie schon längst seinen ruhigen Atem 
hört, lässt sie ihnen freien Lauf.

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