Der Fluch des Wüstenwolfs

Urachhaus / von Paul Biegel

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Schöne Sprache, schöne Bilder!

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„Die alte Bäuerin hatte vom Doktor eine Salbe bekommen und schlurfte mit schmerzenden Beinen heimwärts. Der Weg zu dem einsamen Gehöft, wo sie wohnte, war weit und führte mitten durch den Wald. Die Bäuerin sah nichts Verdächtiges und hörte auch kein Rascheln. Bis plötzlich zwei Kerle vor ihr standen und ihre Messer zückten.

„Was’n los?“, fragte sie mit krätziger Stimme.

Die beiden Räuber riefen ihren üblichen Räuberspruch: „Geld oder Leben!“

„Hä?“ Die Bäuerin war nicht nur alt, sondern auch stocktaub. Schon seit Jahren.

„Geld!“, schrien die Räuber. „GELD!“

„Held?“ Die Bäuerin war nicht nur stocktaub, sondern auch schlau. „Die Herrn sein Helden?“

„Geld! Knete! Moneten!“

„Ah, Geld wollen die Herrn!“ Ihr Augen glitzerten listig. „Dann sein die Herrn wohl Räuber?“, fragte sie scheinbar arglos.

Die beiden wurden nervös. „Mach schon, Alte! Geld oder Leben!“ Und sie schwenkten die rostigen Messer.

„Nehmt’s euch halt, mein Leben. Weil Geld hab ich keins.“ Sie reckte die magere Brust vor. „Nur zu!“, krächzte sie. „Stecht mich ab!“

Die Räuber wichen zurück.

„Traut euch nicht, was? Ihr könnt’s haben, mein Leben!“

Die Räuber tauschten einen Blick. „Mach du Bank“, sagte der eine. „Mach du Unk“, sagte der andere.

Die Bäuerin fing an zu lachen. „Saubere Helden sein’s! Keine Traute nich, was?“ Und mit einem Ruck, so schnell, wie sie es veralten Frau nicht zugetraut hätten, riss sie ihnen die Tücher vom Gesicht.

„Flegel! Euch werd ich Lern, ner alten kranken Frau lästig zu fallen. Rotbuben! Euch werd ich Lern, wie man mit kranken alten Leutn umgeht! Tragt mich heim!“

Das war eindeutig ein Befehl. Und der Blick der Bäuerin ging den Räubern durch und durch, bis ins feige, ängstliche Innere ihrer Räuberherzen.

„Habt ihr mich gehört? Tragt mich heim, hab ich gesagt!“

Die Räuber sahen einander an. Wie zwei ungezogene Jungen, die von er Mutter bei einem Streich ertappt werden, gehorchten sie ohne Widerworte. brav nahmen sie die alte Frau an Armen und Beinen und trugen sie den Waldweg entlang.
Der Weg zu dem einsamen Gehöft war weit … „