„Entschuldigung“

Im letzten Beitrag dieser Kategorie schrieb ich über das Bitte und Danke sagen. In den Kommentaren tauchte dann die völlig berechtigte Frage nach dem Umgang mit Entschuldigungen auf. Dazu nun hier meine Gedanken!

Immer öfter beobachte ich ein gedankenloses, dahin geworfenes „Entschuldigung“ bei den Kindern. Es zeigt ganz klar, dass sie gelernt haben, dass die Erwachsenen ein „Entschuldigung“ hören wollen, damit es wieder gut ist. Nur selten schwingt darin wirkliche Anteilnahme mit.

Bemerkenswert ist auch die Situation, wenn ein Kind einem anderen wehtut, Entschuldigung ruft und weiter spielt. Wenn ich es dann zurück rufe kommt es mit der Ansage: „Aber ich hab doch Entschuldigung gesagt!“.

Oder aber der Ausspruch: „Ich muss mich nicht entschuldigen, es war doch aus Versehen!:“

Ich wage mal die These aufzustellen, dass die meisten Kinder unter drei oder vier Jahren sich gar nicht wahrhaft entschuldigen können. Dazu gehört dem Wort schon nach ja, dass man seine eigene Schuld an dem Geschehnis erkennen und eingestehen muss. Zudem muss man sich auch noch in den anderen, den Geschädigten hineinversetzen. Solch eine Überschau und Empathievermögen haben kleine Kinder normalerweise nicht. Zumindest kann man sie nicht von ihnen erwarten. Daher verzichte ich bei Kindern unter drei Jahren völlig darauf, sie zu einer Entschuldigung zu bitten. Aber ich gehe in die Situation und versprachliche, was passiert ist, wie z.B.:

„Oh, da bist du aber schnell gefahren mit deinem Bobby Car. Und schau mal, du warst so schnell, du konntest gar nicht bremsen als Nathalie in den Weg gelaufen ist. Da hast du sie einfach umgefahren. Nun weint sie, siehst du, dass tut ihr ganz tüchtig weh. Schau am Knie hat sie ein Aua. Und du hast dich wahrscheinlich auch dolle erschreckt, oder? Komm, wir gehen mal zu Nathalie. Vielleicht können wir sie trösten.“  Und dann bei Nathalie: „Robert ist so schnell gefahren, da hat er dich gar nicht kommen sehen und konnte nicht mehr stoppen. Aber ich glaub, es tut ihm leid, dass er dir wehgetan hat.“

Das Ganze versuche ich mit viel Ruhe und genügend Pausen zu sagen (im Idealfall ist da jemand, der sich um Nathalie kümmert), um den Kindern genug Zeit zu geben, sich da hinein zu fühlen. Macht man dies konsequent, so übernehmen die Kinder irgendwann die Worte und Tätigkeiten. Dies aber nicht, weil ich sie dazu auffordere, sondern weil sie sich mit der Zeit in sie hineingelebt und gefühlt haben. Also erst das Empfinden wecken und dann die Taten folgen lassen. (Auch bei älteren Kindern, die aus den verschiedensten Gründen nicht in der Lage sind, sich zu entschuldigen, kann man so verfahren.)

Diese Szene beruht auf einem Unfall. Es gibt natürlich auch Situationen, in denen Vorsatz vorliegt. Ein Tritt, weil Jonas das Kuscheltier hat, dass man selber haben will. Aber auch hier würde ich eher beide Seiten als gleichwertig hinstellen, ohne außer Acht zu lassen, dass der eine Ausführender und der andere Leidender ist:

„Du wolltest das Kuscheltier so sehr, dass du gar nicht anders konntest als treten, oder? Das hat Jonas aber ziemlich wehgetan, siehst du. Er weint und ist ganz traurig.“ Dann würde ich erstmal die Kuscheltierfrage klären, denn es ist nun mal so, dass unerfüllte Bedürfnisse in jungen Jahren Hindernis für soziale Empfindungen sind. Wenn das Kind glücklich ist, kann es viel eher mit dem anderen mitempfinden und dann auch spüren, wie gut es sich anfühlt, anderen zu helfen bzw. sich zu entschuldigen.

Ich würde also, wenn es ums Entschuldigen geht niemals über Schuld reden, außer in wenigen Ausnahmen.

Kinder ab vier Jahren sind durchaus in der Lage, zu erkennen, wenn sie Mist gebaut haben und auch mit zu empfinden. Zwei wichtige Grundregeln habe ich für mich aufgestellt:

  1. Das eine Kind muss sich entschuldigen wollen und es freiwillig tun.
  2. Das andere Kind muss diese Entschuldigung annehmen wollten.

Ersteres wird oft übergangen und zweitens schlicht vergessen.

Jeder weiß doch von sich selbst, dass es Momente gibt, in denen man noch nicht so weit ist, sich zu entschuldigen, da man selbst von seinen Gefühlen noch völlig übermannt ist. Man weiß zwar schon, dass man sich entschuldigen sollte, aber der Rest von einem ist noch nicht so weit. Jedwede Entschuldigung an dieser Stelle würde nicht ernstgemeint sein. Genauso kann man nicht immer automatisch eine Entschuldigung annehmen, wenn man noch wütend oder verletzt ist, manchmal braucht auch das Zeit.

An erster Stelle versuche ich immer noch einmal urteilsfrei zu beschreiben, was zu der Situation, die eine Entschuldigung braucht geführt hat. Oder aber zu erfragen, wenn ich es noch nicht weiß. Denn für die einzelnen Betroffenen und die Zuschauer ist es noch lange nicht so eindeutig wie für uns Erwachsenen, wer da sich zu entschuldigen hat. Ist die Sache eher eine private, bitte ich Zuschauer meist, wegzugehen. Ansonsten lasse ich sie, damit sich ein sozialer Lerneffekt einstellt.

  1. Klären der Situation ohne zu bewerten. Für alle darstellen, so dass jeder sich darin wiederfindet und in seinen Motiven anerkannt fühlt.
  2. Klären, was da rechtens war in Hinblick auf die allgemein gültigen Regeln und was nicht. (Die Kinder erweisen sich da meist als sehr reflektionsfähig und einsichtig, solange sich alle gerecht behandelt fühlen.) Etwaige hinderliche Bedürfnisse regeln bzw. stillen.
  3. Dann die Entscheidung, wer sich bei wem entschuldigen sollte und nicht selten müssen sich dann alle bei allen Beteiligten entschuldigen und die Frage, ob man bereit ist, sich zu entschuldigen.
  4. Die einen sind es und tun es, die anderen nicht. Das anzuerkennen und stehen zu lassen, ist für keinen leicht. Ich stelle an die Stelle als moralische Leitlinie meine Meinung den Kindern vor und sage: „Ich find es gut, dass du dich entschuldigen konntest.“ und „Ich weiß, dass ist manchmal schwer und vielleicht findest du ja später noch den Weg, dich zu entschuldigen, denn meiner Erfahrung nach, tut das oft ziemlich gut.“
  5. Als nächstes fragen, ob die Entschuldigungen angenommen werden. Meisten werden sie das. Und wenn nicht, kann man sagen: „Du hast getan, was du konntest. Wenn xy noch nicht so weit ist, dann ist das so. Vielleicht klärt sich ja später alles auf.“

Ein sehr wichtiger Punkt ist noch das Wesen bzw. das Temperament der jeweiligen Kinder. Ein cholerisch veranlagtes Kind sollte man erst mal völlig in Ruhe lassen. Oft kann man erst einen ganzen Tag später das Thema ansprechen, ohne das die Wut erneut auflodert. Aber mit Gleichmut und Humor kann man auch bei diesen Kindern nach und nach ein Mitgefühl erwecken, dass stärker sein kann als ihre Wut. Sehr nachdenklich veranlagte Kinder sollte man gar nicht zu sehr mit der ganzen Problematik beschweren, sondern es eher auf die leichte Schulter nehmen.

Immer zu bedenken gilt: Es geht meines Erachtens nicht darum, dass sich Kinder entschuldigen, sondern darum, dass sie es als erwachsene Menschen dann tun können. Dass sich also ein Empfinden für das Richtige, ein moralisches Grundgefühl, ein Gewissen entwickeln kann. Jeder Zwang, jeder moralische Druck, jeder Vorwurf steht dem eher hinderlich im Wege.

Es gibt zwei Ausnahmesituation, die mir gerade einfallen:

Kinder, die andauernd das Gefühl haben, dass andere Kinder ihnen Unrecht tun und Kinder, die null Mitgefühl an den Tag legen, ein Kind gegen die Wand knallen lassen und dann unbekümmert weiter rennen.

Bei beiden „Sorten“ lasse ich eine gewisse Strenge walten. Im ersten Fall, lasse ich das Kind eher auflaufen in Form, dass ich nachhake, um was es ihm eigentlich geht und was da so schlimm war, beim zweiten Fall bin ich sehr streng, denn obwohl ich höchstwahrscheinlich bei dem Kind selbst nicht viel an Mitgefühl werde wecken können, so ist es doch für alle anderen sehr wichtig, zu wissen, dass das Unrecht ist.

Auch wichtig bei diesem Thema ist, dass so verschieden die Kinder und Menschen sind, so verschieden sind auch die Arten der Entschuldigung!!!!

Zum Abschluss noch:

Neulich sah ich eine süße Szene. Zwei vierjährige Mädchen stehen sich gegenüber. Die eine weint, die andere streichelt permanent über ihren Bauch und sagt: „Entschuldigung, Entschuldigung!!!“ Und dann irgendwann wird sie immer lauter, weil das Kind nicht aufhört vor ihr zu stehen und zu weinen: „Entschuldigung, Entschuldigung!“ Und schließlich: „Aber ich hab doch Entschuldigung gesagt, dann musst du auch aufhören!!!!“

(Nur als Hinweis: Das weinende Kind weinte nicht vor Schmerz oder irgendwas dramatischen, sondern weil es der Freundin klar machen wollte, dass das so nicht ging. Sekunden später waren beide wieder sehr glücklich und ein Herz und eine Seele, da sich das entschuldigende Kind den Tränen der Feudnun gebeugt hatte und nachgegeben hat.)

 

 

 

(Quelle Beitragsbild)


8 Gedanken zu “„Entschuldigung“

  1. Danke!
    Empathieentwicklung ist also an der Schlüssel zum Verstehen der Schuld. Große Aufgabe.

    Würde dir gerne mal bei der Arbeit zuschauen.

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  2. Die meisten Erwachsenen können oder wollen sich noch weniger gut entschuldigen als die Kinder. Manchmal frage ich mich wer das Vorbild ist. Meine Tochter entschuldigt sich auch nicht gerne, aber wenn sie an der Reaktion der Erwachsenen spürt wirklich etwas falsches gemacht zu haben, tut es ihr so leid, dass sie fast nicht mehr aufhören kann zu weinen. (4 Jahre)

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  3. Ich gebe dir gerne Recht, denn ist absurd bei Kindern im Vorschulalter ein eigenes Bewußtsein für Schuld haben, möglicherweise in Ausnahmefällen, aber generell nicht. Deine Methode ist sehr umsichtig und pädagogisch wichtig, aber verdammt anstrengend. Ich habe da schon viel resoluter handelnde Erzieherinnen beobachtet. Ich kenne Eltern die ihren Kindern das „Entschuldigung“ so einhämmern wie du es beschrieben hast und selber schon solche Floskeln erlebt, doch nicht akzeptiert, eben, weil es nur so dahingesagt war. Ich habe es dann dem Kind in aller Ruhe erklärt und da verstand es endlich den Sinn hinter diesem Wort (es war schon 6 Jahre). In den seltensten Fällen kennt man das enge Umfeld des Kindes, was es noch mal schwieriger macht und manche Eltern fallen aus allen Wolken, wenn sie hören wie ihre Lieblinge im Kindergarten manchmal Dampf ablassen, aber – thats Life 🙂

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    1. Ich hab oft das Gefühl, dass wir Erzieher über all den Alltag und so weiter vergessen, dass es eigentlich um diese Momente geht, darum, den Kindern zu helfen ihren Weg in die Welt zu finden, dass ganze äußere Getöse nehmen wir oft viel wichtiger, als diese „kleinen“ Momente!

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