Vor einiger Zeit wurde ich in den Kommentaren gefragt, was ich von der Reggio Pädagogik halte. Hier nun mal ein kurzer Abriss über die für mich bisher relevanten Erziehungsstile, vor allem im Vergleich zu meinem Favoriten, dem demokratischen Erziehungsstil.
demokratischer Erziehungsstil
- Geschichte: 1916 erschien „das grundlegende Buch Demokratie und Erziehung von John Dewey“. (Quelle); nach dem Zweiten Weltkrieg wurde versucht, die demokratische Erziehung im Bildungssystem zu verankern, was aber scheiterte. Ab dem 50er Jahren wurde diese Idee dann in der Schule in Form des Faches Sozialkunde umgesetzt.
- Merkmale: Jedes Mitglied der Gemeinschaft (Familie / Kitagruppe) hat die gleichen Rechte; Eltern / Erzieher geben Orientierung, Halt und Geborgenheit; Transparenz in der Erziehung; Akzeptanz der Kinder, so wie sie sind; gegenseitige Wertschätzung und Verständnis; gewaltfreie Kommunikation; Authentizität
- positive Effekte: sozial engagierte, mitfühlende, selbstbewußte und selbstbestimmte Kinder; keine Machtkämpfe mehr; eine Atmosphäre des Respekts und der Freude
- „negative“ Aspekte: es braucht viel Zeit, um dies echt anzulegen und nicht nur gespielt und in manchen Fällen; Kinder gehorchen nicht einfach, sondern wollen verstehen, was zu Diskussionen führen kann (und sollte) und im Außen durchaus zu Irritationen führen kann („Ihre Kinder sind aber frech!“ „Ja wie sitzen die denn am Tisch!“ etc.)
- wichtige Vertreter: Hartmut von Heftig, John Dewey und zwar nicht offiziell aber wie ich finde auch Janusz Korczak und L.N. Tolstoi
- Umsetzung: Summerhill (demokratische Schule / Internat), Laborschule Bielefeld, Sudbury Valley School, in „meiner“ Kitagruppe 😉 !
- Meine Meinung: Für mich ist diese Art der Erziehung die modernste und für unsere Zeit am geeignetste.
Reggio-Pädagogik
- Geschichte: Diese Form wurde in den 70gern von Loris Malaguzzi in der Stadt Reggio Emilia entwickelt. Inzwischen weltweit verbreitete Reformpädagogik.
- Merkmale: Erziehungsphilosophie; Das Kind ist der Konstrukteur seiner eigenen Entwicklung; das Kind ist Forscher; Projekte / Experimente sind wichtiges Element, Erzieher ist Wegbegleiter, Zeuge und Forscher; Raum wird als 3. Erzieher angesehen; dialogische Kommunikation; alle das Kind betreffende Personen unterstützen sich gegenseitig; Kooperation zwischen Kindern und Erziehern; offene Gruppen; Dokumentation; mit den Stärken der Kinder arbeiten
- positive Effekte: Entscheidungsfreiheit der Kinder; Neugier nutzen und erhalten; Kreativität und Selbstständigkeit, Eigenmotivation
- „negative“ Aspekte: Gefahr der Unterforderung oder Überforderung der Kinder; Gefahr der einseitigen Entwicklung;
- wichtige Vertreter: Loris Malaguzzi,
- Meine Meinung: An sich, hört sich alles, was ich über diese Form lese, spannend an. Mir sind nur diese Projekte suspekt, bzw. habe ich bisher dieses nur derart umgesetzt gesehen, dass den Kindern dadurch die Zeit zum Spielen genommen wurde. Auch wenn es ursprünglich eine Philosophie sein wollte/sollte, so erleb ich es jetzt bzw. erfahre jetzt darüber nur eine bestimmte Art der Tages- und Raumgestaltung, nach wie vor sehr stark durch den Erwachsenen bestimmt und geführt. Zudem habe ich große Fragen an diese dauerhafte und intensive Art der Dokumentation, also dass das quasi vorgeschrieben wird… ich denke, da ist viel drin und einiges ähnelt sich auch zum vorgenannten Stil und auch mit der Montessori Variante, aber die Umsetzung habe ich bisher noch nicht gut erlebt.
Montessori
- Geschichte: Ab 1907 entwickeltes Konzept von Maria Montessori und anderen, Gründung eines Kinderhauses in Rom, 1919 dann Gründung in Deutschland von Kinderhaus und 1924 von Schule
- Merkmale: Kind „Baumeister seines Selbst“ , „Hilf mir, es selbst zu tun“ (Quelle). Kind steht im Mittelpunkt, Kind soll frei lernen ohne Belohnung und Strafen, Entwicklung einer eigenen kindlichen Entwicklungspsychologie in verschiedenen Phasen; kosmische Erziehung; Erzieher bereitet Umgebung vor, Kind pflegt sie, Umgebung auf Kinder angepasst, übersichtliche Ordnung der Materialien, bestimmte selbst entwickelte bzw. gegliederte Materialien, Lernen mit allen Sinnen
- positive Effekte: Selbstständigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Kooperationsfähigkeit, Selbstkontrolle, Eigeninitiative, Selbstkompetenz
- negative Aspekte: keine nennenswerten anscheinend, nur die Angst, die Kinder werden sich selbst überlassen und lernen nichts
- wichtige Vertreter: Maria Montessori, Clara Grunewald
- Meine Meinung: Ich glaube, dass diese Pädagogik von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung der Pädagogik war, meines Erachtens befasst sie sich aber konkret nur mit dem Teil des Lernens und der Materialien. Mir reicht das nicht für das Gesamt der Erziehung, aber für den Bereich der Materialien und es Umgangs damit, stimme ich voll überein.
Waldorfpädagogik
- Geschichte: 1920 durch Rudolf Steiner auf Grundlage der Anthroposophie gegründet, erst in Schulform für die Mitarbeiterkinder der Waldorf Astoria Zigarettenfabrik (Emil Molt) und später folgten die Kindergärten, nun weltweit umgesetzter Erziehungsstil
- Merkmale: erste Gesamtschule = für alle zugänglich, Gleichberechtigung von Körper, Seele und Geist / Wollen, Fühlen und Denken, Gliederung der Entwicklung in Jahrsiebte, Anerkennung des Geistigem in jedem Menschen, „Unsere Aufgabe als Erziehende liegt vor allem darin, das in jedem Menschen verborgene, zur freien Selbstbestimmung fähige Wesen zu fördern und darum besorgt zu sein, dass es sich gesund entwickeln kann. “ (Quelle) , naturbelassene Materialien, Förderung des Freispiels, bestimmter Tages-, Wochen- und Jahresrhythmus; Kind ist ein einzigartiges Individuum, „Das Kind in Ehrfurcht aufnehmen,In Liebe erziehen,In Freiheit entlassen“ (Quelle), Selbsterziehung des Erziehers; Lernen durch Nachahmung, musische und handwerkliche Tätigkeiten werden gefördert
- positive Effekte: kein Leistungsdruck, gesamtseitliche Entwicklung des Kindes, behütetes Umfeld, kreative Entfaltung und da gibt es noch jede Menge mehr, die ich grade nicht in kurze Worte fassen kann
- „negative“ Aspekte:auch hier läßt sich einiges anführen, was aber dann auch wieder nichts Halbes und nichts Ganzes ist
- Wichtige Vertreter: Rudolf Steiner, Karl König
- Meine Meinung: Aus dieser Richtung komme ich, meine Kinder waren in Waldorfkitas und sind in Waldorfschulen, im Großen und Ganzen kann ich mit dem Konzept mitgehen, aber mittlerweile verstärkte sich bei mir der Eindruck , dass die Pädagogik in den Kitas nicht modern umgesetzt wird, sondern sich dogmatisch an einst gültigen Richtlinien festgehalten wird: der lebendige Rhythmus wird Takt, die Kinder werden gedeckelt und freie Meinungsäußerung ist nicht gewünscht. Für mich ist das Potenzial dieser Pädagogik nicht wirklich ausgeschöpft oder aber eingeengt worden.
Situationsansatz
Diese Form der Pädagogik finde ich auch interessant, aber auch nicht umfassend genug! Aber eigentlich alle angeführten Grundsätze kann ich mittragen.
Letztendlich fließt ja vieles zusammen, ähnelt sich, ergänzt sich. Für mich ist aber die demokratische Erziehung, die ja auch sehr nahe dem neuen „ohne Erziehung“ kommt, die tragfähigste und allumfassendste. Die anderen Formen fließen da für mich punktuell ein.
Dies ist echt ein teilweise ei zeitiger und kurzer Überblick über ein paar Erziehungsstile. Ganz subjektiv ausgewählt und ausgelegt!
Was haltet ihr davon, wo findet ihr euch wieder? Wie wurdet ihr erzogen, was hättet ihr euch gewünscht?
Wenn ich mal Zeit habe, schreibe ich meinen eigenen Erziehungsstil auf.
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Au ja, das will ich lesen!
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Hallo! Ich finde leider nirgends Kontaktdaten von dir…
Du wurdest ausgewählt für ein kleines Interview auf Radio Fritz vom rbb. Hast du Interese? Dann schreib mir bitte asap eine eMail mit einer Telefonnummer, unter der ich dich erreichen kann: florian.prokop@rbb-online.de
Liebe Grüße
Flo
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Das ist ja schon wirklich interessant wie lange im Grunde diese ganzen Erziehungsstile im Umlauf sind. Sicherlich hängt es auch immer von den Personen vor Ort ab, wie diese Philosophien umgesetzt werden, aber das ist ja immer so 🙂 Toller Beitrag – danke!
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Das ist sicher auch ein spannendes Thema, warum wir gerade das Bildungssystem haben, das wir haben und warum all die anderen nur eine Randsexisten führen müssen und wer das eigentlich wie entscheidet 😉 ! Ja, gerade in all dem, wo es unmittelbar um den Menschen geht, hängt es von der „Reife“ des so Tätigen ab.
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